Wie ich vegan wurde
Meine vegane Reise
Seit Wochen überlege ich schon, über welches Thema ich meinen ersten Beitrag schreiben soll. Aber eigentlich ist es doch ganz einfach und logisch. Ich erzähle einfach, wie ich zum Veganismus gekommen bin. Das war eine unglaublich lange Reise ...
Aber ist das nicht die perfekte Art, dieses Projekt hier anzutreten? Wir legen direkt die Karten auf den Tisch und alle Welt kann sehen, wie eklig und lange auch mein Prozess war. Und gleichzeitig wird hoffentlich nachvollziehbar, warum mir eine ehrliche, direkte, konfrontative Agitation heute so wichtig ist. Wieso ich der Meinung bin, dass wir mehr Klarheit und Überzeugung in unserem Veganismus brauchen und auch unbequeme Konsequenzen ziehen müssen.
Das erste Mal
Ich hol mal so richtig weit aus - zurück in die Schulzeit. Auf einer Klassenfahrt in der 6. oder 7. Klasse habe ich erfahren, dass meine Klassen- und Biologielehrerin Pescetarierin war. Das bedeutet, dass sie tierische Erzeugnisse wie Milch, Eier, Honig konsumiert, aber kein Fleisch - wie Vegetarierinnen eben. Allerdings entscheiden sich Pescetarierinnen dazu, tote Fische und Meeresfrüchte zu essen. Ich erinnere mich noch an meine Reaktion damals: »Also einfach kein Fleisch? Aber wieso dann Fisch? Naja, mir egal.« Und damit war die Sache für mich auch durch. Ich war nicht neugierig. Ich hab’s zur Kenntnis genommen, hab mich smart gefühlt, weil ich auf den Unterschied zwischen Pescetarismus und Vegetarismus aufklären konnte, und das war’s. Das war die erste Begegnung mit einer alternativen Ernährungsweise.
Von Zuhause aus habe ich sowas nie mitbekommen. Es gab keine besondere Auseinandersetzung mit nicht-menschlichen Tieren. Totes Tier war einfach zum Essen da. Diäten waren hier und da mal ein Thema, aber dann wurde eher über mageres Fleisch gesprochen und mit wenig Öl angebraten. Wenn ich brav war, wurde ich mit Essen belohnt. Ich hab mich sehr gefreut, wenn bei McDonald's gehalten wurde. Und ich hab schon in der Grundschule die eine oder andere gute Note nach Hause gebracht - so viel kann ich sagen.
In den Teenagerjahren hat sich das nicht wirklich verändert. Essen war ein Genussmittel für mich, es war Bestätigung, aber auch Ablenkungen. Gedanken gemacht, wo es herkommt, habe ich mir nie. Und meine größtenteils alleinerziehende Mutter, die ständig arbeiten musste, um den Lebensunterhalt zu finanzieren, um meinem Bruder und mir ein paar Freiheiten zu ermöglichen, hatte nicht die Kapazitäten.
Volljährig, jetzt raff ich bestimmt mehr
Mein nächster Berührungspunkt war dann 2009. Da habe ich eine Frau kennengelernt, die zu der Zeit vegetarisch gelebt hat. Und ja, sobald man einen Menschen kennenlernt, den man mag, kann man sich plötzlich sehr schnell für neue Dinge interessieren. Ich habe zu der Zeit angefangen, auf eigenen Beinen zu stehen, eigenes Geld zu verdienen. Ich war dabei, erwachsen zu werden, und dann war da diese hochgebildete Frau, selbstständig, im Leben stehend - und die lebt vegetarisch. Ich hab mich sofort drauf eingelassen. Es war die Kennenlernphase, und ich wollte imponieren. Auf einmal war der örtliche Subway eine Anlaufstelle, die ich gerne in Anspruch genommen habe, denn die hatten schon damals ein »Veggie Patty«. Ich dachte, ich hab mir echt Mühe gegeben. Ich wollte zeigen, wie aufgeschlossen und modern ich bin. Vegetarisch? Kann ich auch.
Leider hatte es keinen nachhaltigen Effekt. Die Beziehung hat sich gefestigt, aber ich hab nach einiger Zeit dann doch wieder Fleisch gegessen. Und seltsamerweise ist es mehr geworden?! Aus welchem Grund auch immer, fing ich an, mich für »gutes Fleisch« zu interessieren. Je mehr finanzielle Mittel ich hatte, desto mehr hatte ich auch den Drang, »jemand zu sein«. Die Frischetheke im Supermarkt war meine neue Lieblingsanlaufstelle. Hier gibt es das gute Zeug. Das kostet auch was, aber es ist auch »hochwertiger«. Und auch da ging es mir um Außenwirkung. Auch wenn es mir selbst komplett egal war, habe ich mich darauf verlassen sagen zu können: »Nee, das ist schon Premium-Fleisch. Das kommt von der Frischetheke. Das ist nicht dieser Massentierhaltungsquatsch.«
Ich habe mir zu keiner Sekunde ernsthaft Gedanken darüber gemacht, wo das Fleisch herkommt. Es wurde einfach gesagt, dass das besser schmeckt, und das habe ich mir eingeredet und es konsumiert. Meine Partnerin war noch immer Vegetarierin. Rückblickend muss sie das doch gestört haben, oder? Aber irgendwie kam da nie was. Es gab auch keine Bemerkungen oder so. Ich habe Fleisch gegessen, reichlich, sie eben nicht. Das war der Alltag. Und da Vegetarismus ernährungstechnisch auch nicht der größte Bruch ist, weil Kuhmilch und Eier auch da ein übliches Produkt im Haushalt sind, fiel es mir nicht weiter auf.
Meine erste Berührung mit Veganismus
Kurze Zeit später kam dann noch ein Mensch in mein Leben. Ein ruhig, wundervoller, ehrlicher Mann war Teil unseres Freundeskreises, und wir haben super viel Zeit miteinander verbracht. Ständiger Austausch, fast jedes Wochenende getroffen, gemeinsam gegessen, gefeiert und gelebt. Und eines Tages hab ich irgendwie mitbekommen, dass dieser krasse Mensch einfach vegan lebt?! Da wurde nie ein Wort drüber verloren. Das war einfach so. Zu keiner Zeit hat er da ein Ding draus gemacht. Hin und wieder, wenn wir was zu essen bestellt haben, hat man eben geschaut, ob er da auch was bekommt, aber er war dieser Typ Mensch, der sich und seinen Veganismus richtig klein gemacht hat. Bloß nicht anecken, bloß keine Last sein. Er war einfach vegan, ohne das irgendwem aufzudrängen.
Nun, das war’s schon. Es gab keinen Konflikt, keine Auseinandersetzungen oder überhaupt mal einen Moment, in dem ich mir dachte: »Boah, das ist jetzt nervig.«
Ich wünschte, ich hätte irgendwas aus der Zeit gezogen, aber ich habe mir da nie Gedanken drüber gemacht - wieso auch? Es gab keine Reibung, ich war in meiner Präsenz nicht gestört und hab mein Leben gelebt. Die zwei wichtigsten Menschen in meinem Leben - die eine Vegetarierin, der andere Veganer. Aber zu keiner Zeit haben wir mal intensiv darüber gesprochen, was das eigentlich bedeutet, warum das gemacht wird, ob ich es nicht auch machen sollte, yadda yadda yadda.
Am Ende hat das Leben seinen Lauf genommen. Irgendwann haben sich die Wege getrennt. Aus der Partnerin wurde die Ex-Partnerin, und auch von meinem Freund habe ich mich wegen persönlicher Herausforderungen in meinem Leben zurückgezogen.
Mein Leben wurde resettet. Aber die Gewohnheiten blieben dieselben. Ordentliche Reflexion? Fehlanzeige.
Der Anfang meines neuen Lebens
2020 stand die Welt auf dem Kopf. Corona hat den Alltag übernommen. In meinem Leben war beruflich, also auch persönlich, alles recht chaotisch. Depressionen, Unsicherheiten, Zukunftsangst - irgendwie war alles dabei. Ich war stark online sozialisiert. Neben den persönlichen Herausforderungen kam mir dieser Corona-Lifestyle also ganz gelegen. Einfach Zuhause bleiben und von dort den Shit regeln? Call me in!
In dieser Zeit sind zwei Menschen besonders präsent in meinem Leben gewesen. Menschen, die in mir eine Eigenschaft ganz besonders gestärkt haben: Reflexion. Ich hab gerne über kulturelle Themen nachgedacht, Pop- und Internetkultur waren mein Ding. Ich war aufgeschlossen und aufgeklärt, wenn es um politische und soziale Themen ging. Mein Freund Karl hat mir zu der Zeit sehr stark im Leben geholfen, und ich habe dadurch neue Eigenschaften in mir entdeckt. Ich wollte anderen so helfen, wie er mir geholfen hat. Ich wollte etwas Sinnstiftendes aus meinem Leben machen und meine Fähigkeiten gezielt einsetzen.
Genau in dieser Zeit, mit neuem Selbstbewusstsein und neuer Sicherheit in meinem Leben, ist die zweite Person dazugestoßen - meine Partnerin Mimi.
Mit Mimi habe ich in sehr kurzer Zeit eine tiefe Verbundenheit verspürt. Sie war so offen, so warm, so aufgeschlossen. Sie war einfach ein ehrlicher Mensch. So eine fast schon unangenehme Ehrlichkeit, die dafür gesorgt hat, dass ich mich doch fragen musste, ob ich überhaupt immer ehrlich bin - vor allem zu mir selbst. Und das hat was angestoßen. Wenn so ein Mensch in deinem Leben ist, dann verändert das was. Ich war nicht mehr allein. Ich wünsche jedem Lebewesen Partner*innen in ihrem Leben, die dieses Gefühl vermitteln.
Meine Partnerin wird vegan
Im April 2021 hat Mimi angefangen, sich mit Vegetarismus und Veganismus zu beschäftigen. Das junge Paar macht sich in Gedanken über die Zustände auf dem Planeten, Gedanken über Nachhaltigkeit. Wir haben rumgescherzt und was von einem vegetarischen Monat erzählt. Du kannst dir denken, wie es ausging. Ich habe nach wenigen Tagen wieder Fleisch gegessen und Mimi ... Tja, die hat plötzlich gesagt, dass sie jetzt vegan lebt - like what?
Ein paar Wochen beschäftigt sie sich selbstständig damit, ohne Einfluss von außen, realisiert, was da in der Industrie abgeht, und sagt: »Nope, ich bin raus - die abgefuckte Scheiße mache ich nicht mit!«
Aber so überzeugt man auch manchmal von so einer Veränderung ist ... Wenn da ein Partner in deinem Leben ist, den du liebst und der diesen Wandel absolut nicht fühlt, dann nimmt man sich zurück. Ich war absolut nicht bereit dafür. Dieser Lebensstil ist nichts für mich. Ich weiß, was wir mit nicht-menschlichen Tieren machen, und ich bin absolut, zu 100 % fine damit.
Heute kann ich sagen, dass ich nicht wusste, was Veganismus bedeutet. Ich habe mir nie Gedanken über nicht-menschliche Tiere gemacht. Fleisch war zu dieser Zeit Teil meines Lebens, Teil meiner Normalität. Essen war noch immer Genuss, Belohnung und auch Ablenkung für mich. Premium-Fleisch eine Form von Statussymbol.
Tatsächlich hab ich in der Zeit ein paar Fakten aufgeschnappt, aber wirklich tangiert hat es mich nicht.
Get-Better
In der aufgeweckten, progressiven Bewegung war pflanzliche Ernährung doch hier und da mehr und mehr Thema - und durch das gemeinsame Leben mit Mimi natürlich auch für mich sehr präsent. Im Juli des gleichen Jahres gab es einen Moment in einem Livestream bei meinem Freund Karl. Wie wir eingebildeten Männer so sind, stehen wir zum Fleisch.
Leider hat Karl in dem Moment was gesagt, was nicht so ganz stimmte. Und da ich ja sooooo viel von Reichweitenverantwortung halte und auch eine Partnerin hatte, der das Anliegen tatsächlich was bedeutet, sollte das richtiggestellt werden - und das wurde es. Und wie Karl dann so ist, wollte er auch direkt ein Zeichen setzen! Im Zuge der ganzen Klimakatastrophe und dass wir ja doch alle irgendwie nachhaltiger leben und bewusster konsumieren müssen, wurde aus dieser Reibung im Livestream kurzerhand ein Community-Event: der »Get-Better-September«.
Mimi hat sich bereiterklärt, für die Community eine Webseite anzulegen, auf der man sich über die vegetarische und vegane Lebensweise informieren kann - Ernährung, Umwelt und Ethik. Einen Monat lebt die Community vegetarisch oder vegan, tauscht sich aus und unterstützt sich. Was für ein geiles Projekt das war. Mimi ist zur veganen Aufklärungsmaschine mit Burnout geworden, und Karl - der kennt nur ganz oder gar nicht. Der hat sich mit einem vegetarischen Schnitzel auf dem Teller Dominion angeschaut und ist vegan geworden.
Aber ich? Ich hab über den Dingen gestanden. Erneut waren Menschen in meinem Leben vegan - diesmal sogar sehr aufgeklärt - aber ich wollte nicht verzichten. Ich war fine damit, tote Tiere zu essen. Ich gesteh mir doch jetzt nicht ein, dass all meine Gedanken dazu Quatsch sind. Ich bin immer reflektiert. Ich bin selbstbestimmt und mir bewusst, was da geschieht. Ich habe damit kein Problem.
Während des Eventmonats haben Mimi und ich Karl und seine Partnerin auch eine Woche besucht. In deren Haus gab es kein Fleisch mehr. Ich hab mir aber das irish Breakfast im Hotel trotzdem schmecken lassen - ich hatte damit überhaupt keine Probleme. Und wisst ihr was? Die ganze Welt war auf meiner Seite!
In den Monaten danach habe ich mich selbst hier und da für den Veganismus ausgesprochen. Ich habe stolz das Get-Better-Projekt von Mimi geteilt und Aufklärung verbreitet. Unabhängig davon, wie ich selber gelebt habe, war es mir immer wichtig, dass alle Bescheid wissen, was abgeht. Ich war überzeugt davon, dass wenn ich ein Arschloch sein will, eben ein Arschloch sein kann, solange ich wenigstens ehrlich mit den Fakten umgehe und keine Lügenscheiße erzähle.
Privat wurde die Sache allerdings dann doch langsam angespannter. Mimi ist mit der Zeit natürlich immer gefestigter in ihrer Ansicht gewesen. Auch ohne große Reibung hab ich eine gewisse Anspannung verspürt. Weil ich aber gedanklich noch immer nicht bereit war, habe ich meinen Konsum versteckt. Ich fing an, unehrlich zu sein - so tief war die Gewohnheit in mir verankert. Essen war Genuss, Essen war Belohnung und Essen war Ablenkung. Und Essen bedeutete bei mir eben auch immer totes Tier. Ich wollte das nicht aufgeben - bis es endlich den Knall gab.
Ich werde vegan
Die Beziehung zu Mimi, meine Liebe für sie, war stärker als mein Bedürfnis. Ich habe angefangen, ehrlich zu mir zu sein und mir klargemacht, dass ich nicht nach dem Muster lebe, das ich nach außen hin vorgebe. Und es tat weh, mir das einzugestehen. Ich habe mich geschämt. Ich hab gegen meinen eigenen Grundsatz verstoßen, und das musste ich ganz schnell richtigstellen.
Von da an habe ich angefangen, die ganze Aufklärung, die ich zu der Zeit sogar schon selbst wiedergegeben habe, auch endlich für mich selbst zuzulassen und zu verinnerlichen.
Jetzt sollte ich auch endlich vegan werden.
In den Monaten darauf war ich konsequent und habe mich entwickelt. Keine Ausnahmen mehr, keine Verstecke mehr. Im Freundeskreis wurde aufgeklärt, es gab erste Konfrontationen in der Familie. Wir haben Veganismus zum festen Bestandteil unseres gemeinsamen Lebens gemacht. Vor allem ich habe diese Aktivität gebraucht. Dieses Hineinsteigern hat mir dabei geholfen, diese neue Gewohnheit zu festigen - vor allem beim Essen. Wenn es um Kosmetikprodukte und Kleidung ging, fiel mir das nicht schwer. Aber Genuss und Belohnung durch Essen - vor allem so bestimmte Gerichte - das war ganz fest in mir drin. Diese Sachen nicht zu konsumieren war Verzicht. Sich ständig zu erklären, wieso man verzichtet, während die ganze Gesellschaft darauf scheißt, ist fucking anstrengend.
Da habe ich gelernt, wie wichtig Überzeugung ist. Niemand macht mich vegan, das kann ich nur selbst. Wenn ich nicht von dieser Lebenseinstellung überzeugt bin, dann wird das nichts. Wenn ich nicht endlich erkenne, dass nicht-menschliche Tiere fühlende Individuen sind, die Schmerz, Angst und Freude kennen, die einfach leben wollen, dann wird das nichts.
Das ist das Bewusstsein, das ich greifen musste. Nicht-menschliche Tiere sind »jemand«. Und ich will nicht, dass »jemand« für mich solche Qualen durchmachen muss. Und ich will auch nicht mehr hinnehmen, dass das einfach geschieht. Ich muss mich wehren. Ich muss laut sein.
Vystopie
Mit dieser neu gewonnenen Realisation kamen viele neue Schmerzen. Zum einen war da die Erkenntnis darüber, wie lange ich das alles ignoriert habe. Dass ich so blind für die Realität von so unzählbar vielen Lebewesen war, erschüttert mich. Was ist mein Mitgefühl denn überhaupt wert? Und zusätzlich dazu noch zu begreifen, dass ich das jetzt verstanden habe, es aber einfach noch immer passiert?! Meine Veränderung bewirkt gar nichts. Ich bin machtlos. Und ich war nicht mal allein. Wir haben mit dem Community-Projekt Get-Better schließlich Tausende mit dem Veganismus in Berührung gebracht und so viele Menschen sind vegan geworden. Tönnies, Westfleisch und Co. machen trotzdem einfach weiter.
Diese neue, existenzielle Krise, die ich durchgemacht habe, wurde von der Autorin Clare Mann mit dem Begriff »Vystopie« versehen. Dabei geht es um den tiefen seelischen Schmerz, den Menschen erfahren, wenn sie das volle Ausmaß der Gewalt und Ausbeutung erkennen. Trauer, Entsetzen, Hilflosigkeit und Wut sind plötzlich an der Tagesordnung und führen zu einer tiefen Entfremdung mit der Gesellschaft.
Diese Reaktion, so hat Mann das beschrieben, ist keine Krankheit oder Überempfindlichkeit, sondern eine gesunde ethische und empathische Antwort auf ein zerstörerisches System, in dem die Gesellschaft in einer kollektiven kognitiven Dissonanz lebt.
Diese Erkenntnis darüber und auch der Austausch mit anderen veganen Menschen, ihren Erfahrungen und Realitäten, hat mir dabei geholfen, mit der neuen Situation besser klarzukommen. Der Schmerz bleibt aber, er wird nur erträglicher. Jeder nicht-vegane Mensch ist für diese Realität verantwortlich. Ich war es selber 30 Jahre. Ich bin wütend, aber dadurch wird mir natürlich auch klar, dass wir nur Ergebnisse unserer Sozialisierung sind. Die Gesellschaft erzieht uns zu nicht-veganen Menschen. Sie hat Strategien dafür, um Gewalt zu erklären und für notwendig zu verkaufen. Wir verinnerlichen diese Strategien und geben sie weiter. Wann immer ein Mensch aus der Reihe tanzt, wird er eingefangen und zurechtgewiesen.
Manchmal klappt dieser Prozess aber nicht. Ich bin stolz auf mich, dass er bei mir nicht mehr greift. Ich hab’s geschafft. Nun muss ich mir Mühe geben, dass andere es auch schaffen. Denn vegan zu leben und zu verinnerlichen, dass nicht-menschliche Tiere eben schützenswerte Individuen sind, die einen freien Willen haben, bringt auch Verantwortung mit sich und macht es notwendig, dass ich mich für diese Lebewesen ausspreche.
Mit der Vystopie ist eine neue Tristesse in meinen Alltag gekommen, gegen die ich ständig ankämpfe. Aber der Kampf ist möglich. Ich umgebe mich mit Menschen und Hoffnungen, die mir das Gefühl geben, dass es mal anders sein kann. Denn es gibt einen Plan.
Das persönliche Dilemma
Diese Last ist erdrückend. Allein in diesem Land töten wir ~2.000.000 Landtiere pro Tag. Das ist so, als würde man in Berlin innerhalb von weniger als 48 Stunden alle Einwohner auslöschen. In ganz Europa sind es ~23.000.000 Landtiere pro Tag. Es ist ein unaufhaltbarer Prozess. Es wird gezüchtet, geboren, gequält, ermordet - jede Minute, immer weiter.
Ich spreche übrigens von »Landtieren«, weil wir bei Meerestieren gar keine Zählung vornehmen. Da wird nur in Tonnen gerechnet - absurd, oder? Wir machen Filme, bei denen wir eine emotionale Bindung mit einem Wal aufbauen, erzählen uns, wie intelligent Delfine sind, haben gerade einmal 5 % der Ozeane erforscht, und töten Meerestiere in so einer unglaublichen Menge, dass wir nur noch in Tonnen rechnen.
Dieser Zustand ist erdrückend. Solch eine Last kann kein Mensch bewusst aushalten - daran geht man kaputt. Damit das nicht passiert, verfallen wir selbst in Ausflüchte. Es passiert, dass wir mit unseren neuen Werten brechen. Wir realisieren, wie unglaublich grausam das ist, sitzen aber trotzdem bei der Familienfeier am Tisch und verstehen uns blendend mit Menschen, die noch mit dafür verantwortlich sind, dass sich nichts ändert. Vielleicht finden wir mal die Kraft, es anzusprechen, aber in der Regel stößt man auf Ablehnung, und diese Ablehnung sorgt für neue Ängste. Plötzlich geht es auch wieder um mein eigenes Leben, meine eigene Realität. Ich will schließlich nicht vereinsamen. Ständig stoße ich auf Ablehnung, wenn ich das Thema mal anspreche. Aber »die meinen das doch nicht so«. »Die wissen einfach nur nicht, was los ist.« »Sie schützen sich selbst.«
Aber wann muss ich auch die notwendige Verantwortung sehen? Wir sprechen hier von Menschen, denen wir auf Augenhöhe begegnen sollen, und plötzlich kann ich sie nicht an ihren Handlungen bemessen? Das kann es doch auch nicht sein.
Ein umfangreiches Thema, das ich definitiv noch in einem eigenen Beitrag näher durchleuchten werde und meine Ansichten dazu teile. Es beschäftigt mich wirklich jeden Tag.
Raus aus der Ohnmacht
Hier möchte ich wieder an meine Motivation anknüpfen, mich zu wehren und laut zu sein. Ich habe unzählige Gespräche über Veganismus geführt und sicherlich konnte ich enorm viele Menschen erreichen und für einen Prozess der Selbstreflexion gewinnen, sodass sie sich für eine vegane Lebensweise entschieden haben. Aber sich darüber im Klaren zu werden und vor Augen zu führen, dass trotzdem jeden Tag Milliarden von Lebewesen getötet werden, macht auch deutlich, dass es eine tiefgreifendere Lösung braucht als Einzelgespräche. Es braucht ein breites Umdenken in der Gesellschaft. Dafür braucht es natürlich auch mehr Einzelpersonen, aber es braucht auch konkrete Pläne, wie wir für angemessene Sensibilisierung in der Gesellschaft sorgen.
Das bedeutet Aufklärungs- und Bildungsangebote, Zugänglichkeit und vor allem auch Geduld. Eine vegane Welt ist keine Utopie. Eine Gesellschaft, die füreinander und nicht gegeneinander agiert, eine Gesellschaft, in der Leben keine Ware ist, ist möglich und umsetzbar.
Dafür setze ich mich seit Jahren ein, und mit diesem Blog und auch meinem Angebot als Vegan-Speaker - online wie offline - möchte ich das noch viel umfangreicher machen.
Lasst uns aus der Ohnmacht ausbrechen, uns organisieren, aufklären und die Veränderung unterstützen und vorantreiben - »until every cage is empty!«
Begleite mich und bleib auf dem Laufenden
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Ich werde zukünftig mehr Beiträge dieser Art veröffentlichen, als auch Kurzvideos erstellen.